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Ötztaler Radmarathon – Die Erfüllung eines Traums

Eingetragen am: 01.09.2024 von: Christopher Balz

 

Ötztaler Radmarathon – Die Erfüllung eines Traums

227 km  mit 5500 Höhenmeter galt es beim Ötztaler Radmarathon zu bezwingen. Zahlen die für viele außerhalb der Vorstellungskraft liegen, wie auch für mich noch vor einigen Jahren. Doch am 01. September konnte ich mir meinen Traum vom Finish des Ötztaler Radmarathons erfüllen. Nach 9 Stunden und 26 Minuten kam ich wieder in Sölden an. Doch bis dahin ist viel passiert.

 

 

Pünktlich um 6:30 Uhr erfolgte der Startschuss. Auf abschüssiger Strecke ging es über 31 km von Sölden nach Oetz. Bei einer Durchschnittsgeschwindigkeit von deutlich über 50 Stundenkilometer war das Hauptziel ohne Sturz diesen Streckenabschnitt hinter sich zu bringen. In Oetz angekommen wartete mit dem Anstieg zum Kühtaisattel der erste Anstieg des Tages. Der Rückstau durch die plötzlich deutlich langsamere Geschwindigkeit ist ein bekanntes Phänomen, auf das ich eingestellt war. Ruhig pedalierte ich und verlor dennoch nach ein paar Minuten die Geduld, sodass ich etwas mehr Druck auf die Pedale gab für eine freie Fahrt. Das Kühtai ist vom Verlauf wahrscheinlich der unangenehmste Anstieg. Er verläuft wenig rhythmisch und hat Rampen mit über 20 % Steigung dabei. Da noch früh im Rennen war es wichtig bei sich zu bleiben und keine unnötigen Körner zu verschwenden. Großes Plus für mich war, dass meine Eltern oben auf mich warten und mich unterstützten. Meine Mutter hatte sich rechtkurzfristig noch als offizielle Helferin einteilen lassen, sodass ich beim Flaschen füllen ein paar Worte mit ihr wechseln konnte.

Nach knapp zwei Stunden Renndauer ging es dann in die Abfahrt in Richtung Innsbruck. Diese Seite des Kühtais hat ebenfalls sehr steile Abschnitte, ist wenig technisch also mit wenigen Kurven gespickt, wodurch man sehr schnell wird. In der Vorbereitung bin ich das Kühtai zweimal gefahren, sodass ich genau wusste was auf mich zukommt. Als passionierter Abfahrer war ich höchst motiviert möglichst schnell unten anzukommen. Daran änderten auch die Weidegitter nichts. Denn ich wusste wie ich ohne starkes Abbremsen diese passieren konnte. Doch dann flog mir eine Flasche heraus. Mist! Bei der hohen Geschwindigkeit machte es keinen Sinn anzuhalten und die Flasche einzusammeln also ging die wilde Fahrt weiter. In weniger als 20 Minuten kam ich unten in Kematen an. Gemäß meiner Aufzeichnungen absolvierte ich diesen Abschnitt mit durchschnittlich 69 km/h und erfüllte mir einen Traum: ich hatte die 100 km/h mit dem Rad zwischenzeitlich geknackt.

Kurz sortiert und weiter vorne mehrere Fahrer erspäht. Um für die vergleichsweise flache Auffahrt zum Brenner vom Windschatten einer Gruppe zu profitieren, sah der Rennplan vor bis Innsbruck Gas zu geben, sodass ich in die schnelle Gruppe rein komme. Das Vorhaben war leider nicht von Erfolg gekrönt, sodass ich am Stadtausgang das Tempo rausnahm. Nach und nach kamen immer mehr Fahrer von hinten. Es bildete sich die erhoffte Gruppe. Bis zur Europabrücke verlief es noch unruhig und die Fahrer sortierten sich. Mir kam die Idee einen anderen Fahrer nach einer leeren Flasche zu fragen. Viele hatten sich Flaschen von eigenen Betreuern anreichen lassen. So sprach ich einen Fahrer an, der ein Teamtrikot trug. Ich erzählte ihm von meiner Zwickmühle und fragte ihn, ob er eine leere Flasche entbehren kann. Der Zufall wollte es, dass auf ihn am Brenner neue Flaschen warteten und er mir eine Leere gab. Ich konnte ruhigt weiter fahren ohne mir über die Flüssigkeitszufuhr weiter Gedanken zu machen. Im weiteren Verlauf des Brenneranstiegs konnte ich viele Kräfte sparen – wie erhofft. Nach vier Rennstunden kam ich in Italien an und nutztes die Verpflegungsstelle für die Versorgung.

Mit gefüllten Flaschen und leider ordentlichem Gegenwind ging es in Richtung Sterzing. Ich habe ein wenig investiert, weshalb recht schnell hinter mir sich einige Fahrer in den Windschatten hängten. Dank Streckenkenntnis wusste ich aber genau, wo ich es rollen lassen kann und wo ich aufpassen musste nicht zu viel zu treten. Nach einer guten halben Stunde inklusive Gegenanstieg bei Sterzing wartete der Jaufenpass – der wohl angenehmste Anstieg.

Der Jaufenpass verläuft von den Steigungsprozenten her sehr gleichmäßig, was eine entsprechende Fahrweise ermöglicht. Blöderweise gab es in der Auffahrt eine Baustelle mit planiertem Schotter. Natürlich war die Ideallinie genau ein Fahrrad breit. Die wenigsten waren bereit eine Reifenpanne zu riskieren, weshalb sich die Fahrer wie an einer Perlenkette aufreihten. Nicht meinen eigenen Rhythmus fahren zu können, nervte mich und ich war einfach froh als es vorbei war. Da nach dem Jaufenpass die nächste Verpflegungsstelle erst in der Hälfte vom Timmelsjoch kam, musste ich nochmal die Flaschen auffüllen. Die Verpflegungsstelle war herausfordernd, weil sie komplett auf Schotter und Verfügbarkeit von Wasser auf wenige Kanister beschränkt war. An dieser Verpflegungsstelle verlor ich rückblickend auch die meiste Zeit. Dazu kam, dass sie nicht ganz oben sondern drei Kehren unterhalb der Passhöhe platziert war. Man durfte also nach der Pause in der Steigung neu anfahren.

Fünf Stunden und 50 min waren im Rennen vergangen als ich mich in die Abfahrt stürzte. Die Abfahrt vom Jaufenpass ist meiner Meinung nach die Anspruchsvollste. Die Kurven sind eng, schlecht einsehbar und machen teilweise zu. Glücklicherweise konnte ich diese bereits im Vorfeld einmal fahren, sodass mir die Abfahrt nicht fremd war. In meinem idealen Szenario hatte ich knapp 30 min für die Abfahrt eingeplant. Im Mittelteil hatte ich das Gefühl, dass es sich etwas zieht und ich wollte nochmal etwas schneller werden. Doch allein war ich nicht. So musste ich einige Überholmanöver unternehmen, was bei schlecht einsehbaren Kurven nicht ganz leicht ist. Vor der Kurve noch vorbei dann stark abbremsen, Schräglage, nach austragen lassen, gerade Stellen und wieder antreten – immer wieder. Die Rennmüdigkeit kam dazu und ich musste maximal fokussiert bleiben, um einen Sturz zu vermeiden. Doch dann setzte ich plötzlich in Schräglage mit dem Pedal auf. Ich sah etwas wegfliegen und musste zeitgleich das Rad gerade stellen, um nicht zu stürzen. Kaum war das Rad gerade, steuerte ich auf die Leitplanke zu. Ich konnte gerade so den Lenker herum reißen, dass ich mit Hand, Lenker und Oberschenkel an der Leitplanke entlang schleifte – geistesgegenwärtig auch bremsend. Zum Stehen gekommen prüfte ich, ob noch alles dran ist. Sofort kam ein Zuschauer herangeeilt und zwei Begleitmotorräder erkundigten sich nach mir. „Alles Gut“. Mit ordentlich Adrenalin ging es die letzten Kehren nach St. Leonhard.

Sechs Stunden und 20 Minuten das Timmelsjoch wartet. Ich stellte fest, dass mein Leistungsmesser nicht mehr funktionierte. Also hielt ich kurz an. Offensichtlich hatte ich beim Aufsetzen die Batteriefachabdeckungen verloren. An der Situation war nichts zu ändern und so fand ich mich damit ab das Timmelsjoch mit Puls und Gefühl in Angriff zu nehmen. In der 30 Grad warmen Sonne im Rücken kämpfte ich mich durch den ersten Teil des Anstiegs. Südtirol lässt grüßen. Schnell war mir klar, dass mir hier auch der Powermeter nicht weitergeholfen hätte. Die Hitze stieg mir buchstäblich zu Kopfe und ich sehnte mich nach dem Flachstück in der Hälfte des Passes sowie der Verpflegungsstelle. Mir wurde etwas übel von meinem Isogetränk. Bei den Temperaturen wäre mehr Wasser an dieser Stelle Goldwert gewesen. Gefühl endlos ging es hinauf doch dann kam das Flachstück und ich konnte sogar hinter ein paar Fahrern Windschatten genießen. Da war sie: die Verpflegungsstelle in Schönau. Wasser trinken, Flaschen füllen, Kopf kühlen und dann ging es weiter. Es ging noch ein kurzes Stück flach, in dem ich mich mit einem Fahrer über die restliche Distanz hinauf zur Passhöhe austauschen konnte: noch 10 km. Das wird knapp dachte ich. Ich machte mir keine Gedanken das zu schaffen. Doch ins Geheim hoffte ich den Ötztaler sogar unter 9 Stunden zu bewältigen. Ich fuhr nochmal an. Doch meine Muskeln krampften, sodass ich kämpfen musste. Drei Kehren über mir erkannte ich den Tunnel, der etwas unterhalb der Passhöhe liegt. Achteinhalb Stunden auf der Uhr. Die 9 Stunden sind pfutsch. Kurz überlegte ich anzuhalten und eine Pause einzulegen, weil die Zeit mir nun plötzlich egal schien. Doch rational gesehen machte dies absolut keinen Sinn, weil ich dann in der Steigung hätte wieder anfahren müssen. Nein das lassen wir. Das letzte Stück schaff ich jetzt auch noch. Da ist er: der Tunnel. Ich war so gut wie oben. Kurz vor der Passhöhe kamen die ersten Tropfen. Ach egal ich fahr das jetzt ohne Regenjacke durch. Ab in die Abfahrt. Shit! Die ist ja schon nass. Kein Risiko mehr. Noch den Gegenanstieg zur Mautstelle in Hochgurgl durchdrücken. Oh der Regen wird mehr. Ich fahr jetzt durch. Der Regen wurde noch stärker. Doch da kam Sölden.  Das Ziel war nah und ich beschloss die letzten Meter zu genießen.

Mit einem Grinsen im strömenden Regen überfuhr ich die Ziellinie des Ötztaler Radmarathons nach 9:26 Stunden. Geschafft!

 

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